Die Ermöglichung der Briefwahl ohne Angabe von Gründen bei der Europawahl ist verfassungsgemäß. Die Grundsätze der freien und geheimen Wahl sowie der Öffentlichkeit der Wahl werden hierdurch nicht verletzt. Dies hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts in einem heute veröffentlichten Beschluss entschieden und damit eine Wahlprüfungsbeschwerde gegen die Europawahl 2009 zurückgewiesen.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:
- Einen Wahlschein, der für die Briefwahl erforderlich ist, erhielt nach früherer Rechtslage, wer sich am Wahltag während der Wahlzeit aus wichtigem Grunde außerhalb seines Wahlbezirks aufhielt, seine Wohnung in einen anderen Wahlbezirk verlegt hatte und nicht in das Wählerverzeichnis des neuen Wahlbezirks eingetragen worden war oder aus beruflichen Gründen oder wegen Krankheit, hohen Alters, einer körperlichen Beeinträchtigung oder sonst seines körperlichen Zustandes wegen den Wahlraum nicht oder nur unter nicht zumutbaren Schwierigkeiten aufsuchen konnte. Die Gründe für die Erteilung eines Wahlscheines waren glaubhaft zu machen.
Im Dezember 2008 sind das Europa- und das Bundeswahlrecht dahingehend neu gefasst worden, dass ein Wahlberechtigter, der in das Wählerverzeichnis eingetragen ist, auf Antrag einen Wahlschein erhält. Die Angabe und Glaubhaftmachung von Gründen ist nicht mehr erforderlich.
- Aufgrund dieser Rechtsänderung wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Gültigkeit der Europawahl 2009. Er beanstandet den Verzicht auf das Begründungserfordernis für die Teilnahme an der Briefwahl und rügt die aus seiner Sicht mangelnde Fälschungssicherheit und das erhöhte Risiko der ungewollten Abgabe ungültiger Stimmen bei der Briefwahl.
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Die Beschwerde ist nicht begründet.
a) Bei der Briefwahl ist die öffentliche Kontrolle der Stimmabgabe zurückgenommen. Auch ist die Integrität der Wahl nicht gleichermaßen gewährleistet wie bei der Urnenwahl im Wahllokal. Die Zulassung der Briefwahl dient aber dem Ziel, eine möglichst umfassende Wahlbeteiligung zu erreichen und damit dem Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl Rechnung zu tragen. Der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl stellt – jedenfalls im Zusammenhang mit der Briefwahl – eine zu den Grundsätzen der Freiheit, Geheimheit und Öffentlichkeit der Wahl gegenläufige verfassungsrechtliche Grundentscheidung dar, die grundsätzlich geeignet ist, Einschränkungen anderer Grundentscheidungen der Verfassung zu rechtfertigen. In diesem Zusammenhang ist es zwar in erster Linie Sache des Gesetzgebers, bei der Ausgestaltung des Wahlrechts die kollidierenden Grundentscheidungen einem angemessenen Ausgleich zuzuführen. Dabei muss er jedoch dafür Sorge tragen, dass keiner der Wahlrechtsgrundsätze unverhältnismäßig eingeschränkt wird oder in erheblichem Umfang leer zu laufen droht. Das ist derzeit jedoch offenkundig nicht der Fall. Der Senat hat die Briefwahl daher wiederholt als verfassungsrechtlich gerechtfertigt angesehen.
b) Durch den Verzicht auf die Angabe und Glaubhaftmachung bestimmter Gründe für die Erteilung eines Wahlscheines wird dies nicht in Frage gestellt. Dieser Verzicht beruht auf nachvollziehbaren Erwägungen und hält sich noch in dem Gestaltungsspielraum, der dem Normgeber von Verfassungs wegen zusteht.
Der Verordnungsgeber hat mit der Änderung des Europawahlrechts – in Übereinstimmung mit dem Gesetzgeber bei der entsprechenden Änderung des Wahlrechts zum Deutschen Bundestag – auf die zunehmende Mobilität in der heutigen Gesellschaft und eine verstärkte Hinwendung zu individueller Lebensgestaltung reagiert. Dabei hat er sich von dem Ziel leiten lassen, eine möglichst umfassende Wahlbeteiligung zu erreichen.
Die Pflicht zur Glaubhaftmachung von Gründen, die die Teilnahme an der Urnenwahl hinderten, hatte sich nach Einschätzung des Normgebers als praktisch nutzlos erwiesen, da eine auch nur stichprobenartige Prüfung der angegebenen Gründe nicht möglich war. Nachvollziehbar und verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist auch die Einschätzung, jeder Versuch, dem Begründungserfordernis höhere praktische Geltung zu verschaffen oder den Zugang zur Briefwahlteilnahme auf eine andere Weise zu regulieren, sei angesichts der schwindenden Bereitschaft zur Stimmabgabe im Wahllokal mit dem Risiko einer weiter zurückgehenden Wahlbeteiligung behaftet.
Der Normgeber hat auch in den Blick genommen, dass eine deutliche Zunahme der Briefwähler mit dem verfassungsrechtlichen Leitbild der Urnenwahl in Konflikt geraten könnte. Dass ein erheblicher Anstieg der Briefwahlbeteiligung durch den Wegfall der Glaubhaftmachung von Antragsgründen jedoch nicht zu befürchten ist, hat der Gesetzgeber für die Bundestagswahl insbesondere mit Erfahrungen bei Landtagswahlen begründet. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Einschätzung in verfassungsrechtlich relevanter Weise verfehlt oder auf die Wahlen zum Europäischen Parlament nicht übertragbar sein könnte.
c) Entgegen dem Vorbringen des Beschwerdeführers ist gegenwärtig auch nicht erkennbar, dass die geltenden wahlrechtlichen Bestimmungen keine ausreichende Gewähr für den Schutz vor Gefahren bieten, die bei der Durchführung der Briefwahl für die Integrität der Wahl, das Wahlgeheimnis und die Wahlfreiheit entstehen können. Der Verordnungsgeber hat den diesbezüglichen verfassungsrechtlichen Vorgaben bei der Neuregelung des Europawahlrechts Rechnung getragen.
Bundesverfassungsgericht
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