Lockdown lockern? Oder zu viele Schrauben locker?

Apr. 20, 2020

Vor allem, hört doch endlich mit Schweden auf!

Man will und muss sich ja informieren, auch bei dieser täglichen Flut an Informationen rund um Corona. Aber es ist manchmal schwer zu ertragen. Nicht die Fakten über das Virus, die sind harmlos gegenüber dem, was sich in den Kommentarspalten der ganzen Nachrichten so tut.

Auf der einen Seite die Aluhut-Fraktion, die immer noch eine große Verschwörung hinter allem wittert und der Meinung ist, da steckt eine Riesensache dahinter. Macht natürlich Sinn, weit über 100 Länder dieser Welt haben sich zusammengetan und sich überlegt wie man die eigene Bevölkerung effektiv wegsperrt. Scheiß auf die Wirtschaft und die ganzen Folgen alles zuzumachen, Hauptsache die nervige Bevölkerung bleibt zu Hause und wir haben die Macht.

Klingt megalogisch! Auf einmal arbeiten alle zusammen, die sich vorher nicht grün waren. Ach ja, für eine nicht reale Gefahr überbieten sich die Länder mit Maßnahmen ihre eigene Wirtschaft kaputt zu machen nur um die Menschen unter Kontrolle zu bringen und dauerhaft einen Überwachungsstaat zu installieren. Da kann man wirklich nur noch so heftig mit dem Kopfschütteln bei solchen abstrusen Thesen, dass es zu einem Schleudertrauma kommt.

Apropos Verschwörung, ich will ja keinen unwissend zurücklassen. Wenn Ihr die Nase voll habt von Corona und allen Folgen, dann ist übrigens 537354 die Lösung und alles ist wieder gut, wusstet Ihr das?

Vom Aluhut zu den Lockermachern

Weiter geht es zur der Fraktion, die alles schnell lockern wollen. Die sind nicht unbedingt in dem Glauben, dass eine große Verschwörung dahinter steckt, aber sie sind der Meinung, das ist doch alles übertrieben. Man macht ihnen den Freizeitspaß zunichte, keine Restaurantbesuche, kein Fußball, kein Urlaub und dann kann man auch noch nicht mal Familie und Freunde treffen.

Ja klar, die Maßnahmen sind natürlich alle nur dafür da, den jeweiligen Meckerer persönlich zu ärgern, zumindest stellen die das so dar. Oder die inkompetente Bundesregierung liegt halt völlig falsch in ihrem handeln, weil es ja auch Leute gibt, die das anders sehen. Mit Schweden wird gerne auch ein prominentes Beispiel genannt, wo ein ganzes Land „Anders“ handelt.

Ehrlich, ich bin froh, dass unsere Bundesregierung vorsichtiger agiert als die Schweden. Denn das was dort praktiziert wird ist ein Vabanquespiel mit der Gesundheit der Bevölkerung. Es ist längst nicht klar, ob der Weg der Schweden besser ist als unserer. Er ist auf jeden Fall hoch risikoreich und spielt russisch Roulette mit den Leben der Schweden, das kann doch ernsthaft niemand für sich selber wollen.

Aktuell zeigen die schwedischen Zahlen auch eine beunruhigend hohe Fallsterblichkeit, deutlich höher als die in Deutschland. Woran das liegt, da gibt es mehrere Theorieansätze. Natürlich kann es im besten Fall an einer hohen Dunkelziffer von nicht getesteten Infizierten liegen. Allerdings könnte die hohe Sterblichkeit auch auf einen Ansatz zurückzuführen sein, bei der es heißt die schwere des Verlaufs der Krankheit liegt auch begründet in der Intensität des Erstkontaktes mit dem Virus. Da in Schweden die Kontakte nicht so beschränkt sind, sind diese natürlich intensiver. Das könnte ein Grund sein. Aber am Ende ist auch das alles nur Spekulation. Und um sicherer in allem zu werden, brauchen wir Zeit bevor wir überstürzt lockern, aber dazu später mehr…

Auch könnten spezielle schwedische Gegebenheiten dafür verantwortlich sein, dass ansonsten die Infektionszahlen noch in erträglichem Maße sind trotz der lockeren Umgangsweise. Schweden ist nun mal nicht so dicht besiedelt wie Deutschland hier stehen 23 Einwohner pro km² über 232 Einwohnern pro km² gegenüber.

Wenn man allein diese Zahl betrachtet, kann dann in beiden Ländern überhaupt dieselbe Taktik im Umgang mit Covid-19 funktionieren? Die Antwort ist relativ eindeutig: Nein! Also ist der Vergleich zwischen Schweden und Deutschland abwegiger als der zwischen Äpfeln und Birnen!

Es gibt aktuell keine Garantie welche Taktik am Ende in der Summe besser ist, woran messe ich überhaupt das bessere Ergebnis am Schluss? Beziehe ich neben der Gesundheit der Menschen auch noch die Wirtschaft ein und die Auswirkungen darauf mit allen Langzeitfolgen, die auch wieder auf die Gesundheit der Menschen bezogen betrachtet werden müssten?

Irgendwie finde ich es zynisch Menschenleben und Wirtschaft in ein Gesamtbewertungssystem pressen zu wollen, da sträuben sich bei mir schon einige Nackenhaare.

Ich lebe persönlich lieber in einem Land, wo es am Ende weniger Tote gibt. Die Wirtschaft kommt schon wieder in Schwung, das ist relativ sicher. Die Toten aber, die werden nicht wieder aufstehen.

Ich weiß nicht, ob man das anders sehen kann…

Maßnahmen Lockerung noch zu früh

Zurück zu denen die nach Maßnahmen-Lockerung schreien und Facebook und andere sozialen Medien vollkleistern mit ihrer Meinung. Am schlimmsten finde ich, dass dann Leute in gewissen Positionen, also beispielhaft ein Ministerpräsident Laschet oder der Präsident der Bundesärztekammer Reinhardt mit unbedachten Äußerungen diese Menschen noch füttern. Sicher brauchen wir einen Weg aus der Nummer raus, aber dieser muss besonnen und mit Augenmaß gegangen werden.

Dies liegt den Kommentatoren aber meist fern, denn wie man aus ihren Worten raus liest, geht es in der Regel nur um sie. Das andere möglicherweise durch ein solches Auflockern sterben ist ihnen relativ egal, denn sie gehören ihrer Meinung nach zu keiner Risikogruppe und überhaupt wollen sie sich nicht einsperren lassen. Von wegen Grundrechte und so… Wahrscheinlich wussten die meisten von denen bis vor kurzem nicht einmal wo die stehen.

Auch wird dann gerne aufgeführt das in unseren Krankenhäusern ja nichts los ist und überhaupt ist das doch offenbar alles total übertrieben. Das in den Krankenhäusern aber eben keine italienischen, spanischen oder amerikanischen Verhältnisse herrschen in den richtigen Maßnahmen wie Kontaktverbot und so begründet liegen, da kommen die meisten irgendwie nicht drauf. Soweit denken würde bei vielen offenbar Schmerzen verursachen.

Schon gar nicht kommen sie darauf, dass eine vorschnelle Lockerung das Blatt hier ganz schnell in eine fatale Richtung wenden kann. Die Bilder aus Italien und Spanien sind keine Bilder aus Hollywood-Streifen, sondern harte und kaum ertragbare Realität. Wir können wem auch immer dankbar dafür sein, dass wir diese paar Tage mehr Zeit hatten mit einem Lockdown zu reagieren bevor die Situation wie in den genannten Ländern unkontrolliert eskaliert ist.

Können wir jetzt lockern?

Die Antwort ist nicht so einfach. Ja, wir sind jetzt Mitte April in einer Situation in der wir wieder die Kontrolle über das Geschehen zurückerlangen, aber noch nicht in Gänze.

Was wir vor allem noch brauchen ist etwas Zeit, sicherlich keine Jahre, auch keine Monate, vielleicht nur noch wenige Wochen. Wir brauchen diese Tage, um besser zu verstehen wieder die Kontrolle über unser Leben zurückbekommen können ohne es unnötig zu gefährden. Dazu bedarf es einiger Bausteine. Exemplarisch ist zum Beispiel die Maskenpflicht, ein Paradebeispiel dafür, wie man in so einem Prozess dazulernen kann.

Am Anfang wurden nicht medizinische Masken belächelt, was sollen die denn schon helfen, die bieten doch keinen Schutz. Jetzt zeigen die ersten Erfahrungen aber was anderes, man schützt vielleicht nicht sich selber, aber man kann andere schützen. Und wenn jeder eine Maske trägt und somit unwissend Infizierte auch, dann senken wir offenbar effektiv den Reproduktionsfaktor des Virus. Erkenntnisse aus Jena zeigen hier sogar fast schon euphorisierende Dinge, denn hier gab es wohl in den letzten Tagen seit Einführung der Maskenpflicht kaum noch Neuinfektionen, ja sogar Tage ohne überhaupt eine. Zugegebenermaßen ist Thüringen bislang auch nicht der Infektionshotspot, aber auch wenn es nur ein bisschen Wirkung hat, das Tragen einer Maske tut doch keinem weh und rettet im Zweifel Leben, da Infektionsketten gar nicht erst aufkommen.

Ein weiterer Baustein zurück in die Normalität könnte die erwiesene Wirkung eines Medikamentes oder eines Mixes aus bereits bekannten Medikamenten sein, mit denen man schwere Verläufe der Infektion schnell in den Griff bekommt. Hier machen erste Tests mit Remdesivir in verschiedenen Ländern Hoffnung. Aber es braucht auch hier noch etwas Zeit um die ersten Erkenntnisse auf haltbareren Grund zu bekommen.

Einen dritten wichtigen Baustein sehe ich in der Einführung einer App auf Grundlage von Pepp-PT. Hiermit versetzen wir uns in eine Lage Infektionsketten möglichst zeitnah wieder zu unterbrechen und Beschränkungen nur noch auf eventuell Infizierte anwenden zu müssen. Diese Technik muss noch weiter getestet werden und gegebenenfalls nachjustiert werden mit den Erkenntnissen, wie lange beziehungsweise wie intensiv der Kontakt mit einem Infizierten gewesen sein muss, um eine Ansteckung wahrscheinlich gemacht zu haben.

Letzter Baustein, der uns zeitnah wieder in eine Normalität zurück bringen kann ist zum einen der Ausbau von Kapazitäten für umfangreiche Testungen auf das Virus und ebenfalls nicht unwichtig die Tests auf Antikörper um auch zu wissen, wer schon eine Grundimmunität hat, weil er vielleicht völlig symptomfrei oder milde durch die Erkrankung durchgekommen ist.

Zeit, wir brauchen etwas mehr Zeit

Die Realisierung dieser Punkte ist relativ zeitnah möglich, und dann können wir wieder einen großen Schritt Richtung Normalität gehen. Der letzte Schritt wird dann aber erst vollbracht, wenn ein wirksamer Impfstoff da ist. Dies dauert aber wohl noch länger, wobei auch hier gibt es Hoffnungsschimmer, denn zum einen ist man in Oxford schon ziemlich weit mit einem speziellen neuen Impfstoff für Covid-19, zum anderen macht auch hier aktuell noch ein älterer Impfstoff gegen Tuberkulose ein wenig Hoffnung.

In Deutschland manövrieren wir bislang gut durch diese Krise, so gut, dass viele Länder fast schon neidisch auf uns blicken und sich fragen, wie schaffen wir das so gut. Aber einige Deutsche sind trotzdem nicht zufrieden und schauen trotzdem vor allem Richtung Schweden und wünschen sich auch für Deutschland einen so gefährlichen laschen Umgang mit dem Virus.

Wir fliegen alle nur auf Sicht durch diese Zeit, es ist kein Blindflug, aber die Sicht ist eingeschränkt. Alles was gerade noch sinnvoll erscheint, kann in kürzester Zeit auch falsch sein, das muss allen bewusst sein.

Zu schnelle Lockerungen können die Situation schnell in eine andere Richtung kippen. Hadern mit der jetzigen Situation bringt auch nichts, wir können auch einfach nur das beste daraus machen.

Bedenklicher Leichtsinn der Menschen

Trotzdem macht mich eines wirklich sehr nachdenklich, nämlich der bedenkliche Leichtsinn vieler Menschen. Das nicht Realisieren, dass wir im Moment auf ganz dünnen Eis stehen und jede überstürzte Lockerung dieses fragile Gebilde zum Einsturz bringen kann. Ein solcher Einsturz würde aber nach sich ziehen, danach mindestens gleich rigorose Beschränkungen wie Anfang April zu benötigen, wenn nicht sogar ein richtiger Lockdown nötig würde. Ist denen eigentlich bewusst, dass wir nur einen Lockdown light haben? Bei dem anderen wäre nicht mal mehr ein richtiger Spaziergang möglich, höchstens ein paar hundert Meter um das eigene Haus.

Bei manchem, was man so liest, kann man auch nur zu dem Schluss kommen, die Menschen sind auch ohne die notwendigen Beschränkungen schon beschränkt genug. Da gehen doch tatsächlich welche auf die Straße zu Demos mit Schildern auf denen steht „Ich brauche einen Haarschnitt“, „Corona ist eine Lüge“ oder „Menschen sterben so oder so“!

Andere wiederum meinen es handelt sich doch nur um eine Art normale vielleicht etwas stärkere Grippe. Da geht mir mittlerweile die Hutschnur auf Rekordniveau. Wie kann man so Ignorant und Dumm sein, wenn man sich mal mit den Zahlen überhaupt mit der Realität mal näher befasst. Bei welcher Grippewelle der letzten Jahre haben wir denn Bilder von Leichen und Särgen wie die dieser Tage gesehen?

Ja, man kann jetzt im Frühjahr 2020 viel zweifeln und verzweifeln! Allerdings nicht an den Maßnahmen und Beschränkungen die zum Schutze von Menschenleben gefasst wurden, sondern an der immer mehr offen zur Schau getragenen Dummheit von vielen Mitbürgern! Da sind bei einigen offenbar ein paar Schrauben locker, die dringend nachgezogen werden müssen.

Wat de Fack?

Wie seht ihr das Ganze? Hinterlasst gerne einen Kommentar!

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