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Jean-Antoine Houdon: Die sinnliche Skulptur

Okt 1, 2009

29. Oktober 2009 bis 28. Februar 2010 Ausstellung zum Jubiläum „100 Jahre Liebieghaus“

Die Ausstellung „Jean-Antoine Houdon: Die sinnliche Skulptur“, die anlässlich des 100-jährigen Bestehens der Liebieghaus Skulpturensammlung gezeigt wird, widmet sich vom 29. Oktober 2009 bis 28. Februar 2010 dem bildhauerischen Werk von Jean-Antoine Houdon (1741-1828). Als einer der bekanntesten französischen Künstler des 18. Jahrhunderts, beispielgebender Bildhauer der Aufklärung und erfolgreichster Porträtbildhauer seiner Zeit war Houdon in Frankreich, Deutschland, Russland, Italien und den USA tätig. Er schuf Bildnisse von bürgerlichen Auftraggebern, französischen und amerikanischen Aufklärern wie Voltaire, Denis Diderot oder Benjamin Franklin, aber auch von Herrschern wie Katharina II., Ludwig XVI. und Napoleon I. Wie kein anderer zeitgenössischer Bildhauer verstand er es, die feinen Züge seiner Modelle zu erfassen und deren Charakter in unterschiedlichen Materialien zu formen. Neben Porträts entstanden ganzfigurige Statuen zu religiösen, antiken oder allegorischen Themenbereichen. Im Zentrum der Ausstellung stehen Houdons 1783 geschaffene Frileuse, eine Personifikation des Winters, sowie die 1787 entstandene Bronzeversion des Themas, die zu den berühmtesten Skulpturen ihrer Zeit gehören und paradigmatisch den Wandel vom Barock zur Aufklärung verdeutlichen. Der zweite Teil der Ausstellung beleuchtet die Persönlichkeit Houdons unter dem Aspekt des vom Künstler verwendeten Materials. Mit insgesamt 40 Exponaten – davon 19 Skulpturen von Houdon – ermöglicht die Ausstellung erstmals in Deutschland eine ausführliche Betrachtung seines Schaffens in der Auseinandersetzung mit wichtigen Zeitgenossen wie Jean-Baptiste Pigalle, Augustin Pajou, Jean-Jacques Caffiéri oder Jean-Baptiste II Lemoyne. Unterstützung erfährt die Ausstellung durch Leihgaben aus international renommierten Museen wie dem Musée du Louvre in Paris, der National Gallery of Scotland in Edinburgh, dem Detroit Institute of Arts und dem Metropolitan Museum of Art in New York. Nach der Präsentation in Frankfurt wird die Ausstellung im Musée Fabre in Montpellier gezeigt werden (16. März bis 27. Juni 2010).

Die Ausstellung wird durch die Hessische Kulturstiftung und die Ernst von Siemens Kunststiftung gefördert.

Das 18. Jahrhundert war von den durch die Aufklärung ausgelösten Diskussionen geprägt, die alle Bereiche des öffentlichen und privaten Lebens durchdrangen. Grundprinzip des neuen Denkens war die Kritik an überkommenen Traditionen. Auch in der bildenden Kunst verloren herkömmliche Normen ihre bindende Kraft, die Aufgaben und Inhalte veränderten sich. Maler, Bildhauer und Graphiker setzten sich mit der barocken Kunst der Allegorie auseinander und gestalteten sie um. Sie verwendeten die althergebrachten Motive in neuen Darstellungszusammenhängen. Die Illusion von lebensvoller Körperlichkeit und nachvollziehbarer Räumlichkeit wurde in artifizielle Natürlichkeit verwandelt. Die Künstler lösten sich von ihren ehemaligen Auftraggebern, dem Hof und der Kirche, und wandten sich dem Publikum beispielsweise von Salonausstellungen zu. Es entstand ein neues Verhältnis zwischen Kunstwerk, Betrachter und Künstler, die durch ihre Abkehr von alten Traditionen überzeugende, bislang nicht verwandte Formen für alte und neue Themen finden mussten. Zu denjenigen, die die Aufklärung mit künstlerischen Mitteln vorantrieben, gehörte maßgeblich der 1741 in Versailles als Sohn eines Hausmeisters des Grafen de La Motte geborene und in Paris an der Académie royale de peinture et de sculpture und später in Rom an der Académie de France ausgebildete Jean-Antoine Houdon. Ab den 1770er Jahren zählte Houdon bereits zu den bekanntesten Porträtbildhauern Frankreichs. Seine Verbindungen reichten weit über die Grenzen Frankreichs hinaus. Politiker, aufgeklärte Fürsten, Schriftsteller, Kunstkritiker, Musiker und Naturwissenschaftler aus Frankreich, Deutschland, Russland und Amerika waren ihm als Freunde, Mäzene und Auftraggeber verbunden. Dazu gehörten beispielsweise Denis Diderot, Voltaire, der Comte de Buffon, der Marquis de Mirabeau, Christoph Willibald Gluck, Benjamin Franklin, Thomas Jefferson und George Washington. Er porträtierte bürgerliche Auftraggeber, französische und amerikanische Aufklärer, aber auch Herrscher wie Katharina II., Ludwig XVI., Napoleon I. und Angehörige des Hofs wie Madame Adélaïde oder Prinz Heinrich von Preußen.

Neben Bildnissen schuf Houdon auch eine Reihe ganzfiguriger Statuen zu religiösen, antiken oder allegorischen Themen. Zu seinen berühmtesten Werken, ja zu den bekanntesten Skulpturen des 18. Jahrhunderts gehören die beiden Fassungen seiner Statue Der Winter (Frileuse, „Fröstelnde“). Gemeinsam mit dem Pendant zur Marmorstatue der Frileuse, dem Sommer, zählen sie zu den zentralen Werken der Ausstellung. Die Frileuse ist nur mit einem für die kalte Jahreszeit allzu knappen Tuch bekleidet, das locker über den Kopf und um den Oberkörper geschlungen ist. Die elegante Anmut des Mädchens einerseits und der leicht gesenkte, in sich gekehrte, fast melancholische Blick andererseits unterstreichen den einzigartigen Ausdruck der Skulptur und vermitteln überzeugend den Eindruck zitternden Fröstelns und berührender Sinnlichkeit. Die Wahl eines jungen Mädchens zur Versinnbildlichung des Winters war unüblich, hat aber Vorläufer in Werken von Antoine Watteau, François Boucher, Jean-Honoré Fragonard und Étienne-Maurice Falconet. Das Attribut der durch die Kälte geborstenen Vase, das bei der marmornen Figur Verwendung findet, ist zum einen Sinnbild der Vergänglichkeit, vor allem aber auch als Zeichen der verlorenen Unschuld zu interpretieren. Weiterhin kann man die Frileuse auch mit Grabdenkmälern, Trauernden oder auch Vesperbildern verbinden. Dies macht nochmals ihre Nähe zum Tod, die ihr als Personifikation der kalten Jahreszeit ohnehin innewohnt, deutlich. Mit seiner Darstellung entwickelt Houdon zugleich eine neue Fassung des Motivgefüges „Tod und Mädchen“ sowie „Verführung und Unschuld“. Die Pendantfigur Der Sommer verweist aufgrund der vielen Attribute – darunter Weinblätter, Früchte, ein Tamburin, Blüten, eine Sichel und Ähren sowie eine Gießkanne – nicht eindeutig auf den Sommer, sondern auch auf den Herbst und vielleicht den Frühling. Ihre Attribute lassen ebenfalls erotische Assoziationen zu: Die Gießkanne und die Sichel können als Sinnbild männlicher Sexualität gelesen werden. Während sich Der Sommer noch stärker an traditionellen Attributen orientiert, löst sich Houdon mit dem Winter völlig von christlichen oder antiken Konnotationen und findet eine neue Form für Jahreszeiten. Beide Skulpturen führen, einander ergänzend, den paradigmatischen Wandel vor Augen, den aufklärerische Kunst in Abgrenzung zum Barock beispielhaft vollzog.

Im Zusammenhang mit der Suche der Künstler nach einer modernen Ausdrucksform rücken das Material und die Oberflächenmodellierung und das heißt auch die Stofflichkeit des Materials selbst zunehmend in den Blick: Houdon erreichte in den verschiedenen Materialien Marmor, Gips, Terrakotta und Bronze eine erstaunliche Meisterschaft in der Wiedergabe und Übersetzung von Stoff. Zahlreiche seiner Werke schuf er in unterschiedlichen Materialversionen: Die zwischen 1783 und 1785 entstandenen Statuen Der Sommer und Der Winter aus dem Musée Fabre in Montpellier sind aus Marmor gefertigt, eine andere überaus prominente Version des Winters aus dem Jahr 1787, die heute zum Besitz des Metropolitan Museum of Art in New York gehört, aus Bronze. Das edle Material schlechthin war seit der Antike weißer Marmor. Daraus schuf Houdon zahlreiche Porträts, in denen er von der Idealisierung Abstand nahm und wie kein anderer seiner Zeitgenossen die Persönlichkeit der Dargestellten herausarbeitete. Seit der Antike war auch Bronze als hochwertiges Material für groß- und kleinformatige Werke überaus beliebt. Houdon hatte eine Vorliebe dafür. 1794 schrieb er: „[…] ich kann sagen, dass es wirklich nur zwei Dinge gibt, mit denen ich mich mein ganzes Leben beschäftigt habe […]: mit Anatomie und dem Guss von Statuen.“ Einige Kunstliebhaber hatten sich auf das Sammeln von Werken aus Terrakotta spezialisiert. Dieses Material wurde vor allem in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts sehr geschätzt, da Ton, traditionelles Entwurfsmaterial, das wahre Talent und die erste Idee des Künstlers zur Anschauung bringe. So ist beispielsweise Houdons Büste des französischen Kaisers Napoleon vor dem Modell entstanden. Die Vorliebe für Terrakotta förderte die Entstehung kleiner, bis in Details sorgfältig ausgearbeiteter Statuetten, zu denen beispielsweise Houdons Sitzenden Voltaire gehört. Vom Materialwert her untergeordnet war Gips im 18. Jahrhundert dennoch ein viel verwendetes Material, da in den Salon-Ausstellungen oft Gipsmodelle für zukünftige Marmorstatuen gezeigt wurden. Von Porträtierten wurden auch gelegentlich Gipskopien nach den Marmororiginalen in Auftrag gegeben, um sie Freunden oder Bewunderern zu schenken. Mit farbiger Patina versehen täuschen sie Werke aus Terrakotta oder Bronze vor. Im Fall der grandiosen Büste des Musikers Christoph Willibald Gluck wird der Beginn des Schaffensprozesses von einer Gipsbüste markiert, der eine Marmorbüste und weitere Ausformungen aus Gips folgten.

Eine Forderung der Zeit betraf den Anspruch, Mensch und Natur in ihrer Wahrheit darzustellen. Die Porträtbüsten Houdons besitzen überzeugende Körperlichkeit. Deutlich wird aber auch eine andere Wahrheit, die Wahrheit der Skulptur. Houdon macht klar, dass das, was zu sehen ist, Kunst ist, keine Realität. Damit changiert der Eindruck: Es ist einerseits die Wahrheit des Inhalts zu sehen. So wird beispielsweise ein Porträtierter in seinem Aussehen und in seinem Charakter überzeugend wiedergegeben. Andererseits wird die Wahrheit des Materials und des Gestaltens bedeutsam. Houdon schafft die Illusion von atmenden Körpern und überführt sie in Kunst.

Eine Ausstellung der Liebieghaus Skulpturensammlung, Frankfurt am Main, in Zusammenarbeit mit dem Musée Fabre, Montpellier.

  • Kuratorin: Dr. Maraike Bückling (Liebieghaus Skulpturensammlung)
  • Wissenschaftliche Mitarbeit: Eva Maria Breisig M. A.
  • Ausstellungsarchitektur: Kuehn Malvezzi Architekten, Berlin
  • Katalog: „Jean-Antoine Houdon: Die sinnliche Skulptur“. Hrsg. von Maraike Bückling und Guilhem Scherf. Mit einem Vorwort von Max Hollein und Texten von Olivier Zeder, Eva Maria Breisig, Guilhem Scherf, Hans Körner, Christoph Frank, Heike Höcherl und Maraike Bückling. Ca. 300 Seiten mit etwa 230 farbigen Abbildungen, 34,90 Euro, ISBN 978-3-7774-2332-6.
  • Audiotour: Durch die Ausstellung führt eine mit der Unterstützung der FAZIT-Stiftung produzierte Audioguide-Tour, 4,- Euro, ermäßigt 3,- Euro
  • Ort: Liebieghaus Skulpturensammlung, Schaumainkai 71, 60596 Frankfurt
  • Pressevorbesichtigung: Donnerstag, 28. Oktober 2009, 11.00 Uhr
  • Ausstellungsdauer: 29. Oktober 2009 bis 28. Februar 2010
  • Öffnungszeiten: Dienstag, Freitag bis Sonntag 10-18 Uhr, Mittwoch und Donnerstag 10-21 Uhr
  • Information: www.liebieghaus.de, info@liebieghaus.de, Tel. +49(0)69-650049-0, Fax +49(0)69-650049-150
  • Eintritt: 8 Euro, ermäßigt 6 Euro, Familienkarte 14 Euro; freier Eintritt für Kinder bis 12 Jahren
  • Hauptsponsoren: Hessische Kulturstiftung und Ernst von Siemens Kunststiftung
  • Zusätzliche Unterstützung: Stadt Frankfurt am Main, Agglomération Montpellier, La Maison du Pain und Teehaus Ronnefeldt
  • Medienpartner: VGF – Verkehrsbetriebe Frankfurt am Main, Frankfurter Rundschau
  • Kulturpartner: hr2 kultur

Quelle (lifePR)

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