Rede von Dr. Guido Westerwelle

Mrz 20, 2009

Rede von Dr. Guido Westerwelle

zur Regierungserklärung der Bundeskanzlerin zum
Europäischen Rat am 19./ 20. März 2009
Rede im Deutschen Bundestag am 19. März 2009

(Stenographisches Protokoll)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Regierungserklärung der Frau Bundeskanzlerin ist in weiten Teilen so allgemein gehalten, dass man ihr nur zustimmen kann. Es ist kein Wunder, dass sie nicht wirklich konkret wurde. Würde sie konkret, dann würde offensichtlich, dass es in ihrer Regierungskoalition mehr Streit als Einigkeit gibt.
(Beifall bei der FDP)

Sie sagen, Sie glauben, dass Sie für Ihre Politik die Unterstützung dieses Hohen Hauses haben. Der Glaube soll bekanntlich Berge versetzen. Es ist aber mittlerweile offensichtlich geworden, dass Sie sich nicht mehr einig sind.
Diese Regierungserklärung findet vor dem Hintergrund eines Tiefpunkts in der Beziehung der Koalition, die die Bundesregierung trägt, statt. Am heutigen Tage ist zu lesen, dass der Vorsitzende der sozialdemokratischen Partei gesagt hat, Merkels internationale Auftritte seien nicht glaubwürdig, wenn sie zulasse, dass im Inland Gesetze gegen die Steuerflucht blockiert würden. Er sagt außerdem, Merkel sei nur noch Geschäftsführerin der Bundesregierung. Meine Damen und Herren, wer in Europa einigen will, sollte wenigstens in der eigenen Bundesregierung zur Einigkeit fähig sein.
(Beifall bei der FDP)

Nicht glaubwürdig, Schutzpatron der Steuerhinterzieher, nicht mehr Kanzlerin, sondern Geschäftsführerin: Wie soll Deutschland nach außen Führung zeigen, wenn es nach innen nicht geführt wird?
(Beifall bei der FDP)

Wir haben schon zu Beginn dieser Krise in zahlreichen Debatten auch in diesem Hohen Hause festgestellt, dass wir uns im Grundsätzlichen gerade auch was die Europapolitik angeht einig sind. Die Europäische Union hat sich in der Finanz- und Wirtschaftskrise als ein Glücksfall erwiesen. Wenn es sie nicht schon längst gegeben hätte, dann hätte man sie spätestens jetzt erfinden müssen. Kein europäisches Land wäre in der Lage gewesen, der Krise im Alleingang etwas entgegenzusetzen. Ohne den Euro beispielsweise hätte die Finanzkrise schnell zur Währungskrise werden können mit fatalen Folgen für unsere Exportwirtschaft.
Die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank und ihre Orientierung an der Geldwertstabilität haben ihren Wert bewiesen. Es hat sich auch gezeigt, wie wichtig der gemeinsame Markt für Wohlstand und Stabilität in Europa ist.

(Beifall bei der FDP)

Klar ist aber auch, und das wissen wir alle auch am heutigen Tage: Der Test ist noch nicht bestanden. Die Europäische Union muss auch und gerade in der Krise geschlossen und entschlossen handeln. Sie muss an ihren Grundsätzen festhalten. Auch darin sind wir uns einig: Es darf keinen Rückfall in überwunden geglaubtes Denken, in Protektionismus, in Abschottungspolitik und natürlich auch nicht in Subventionswettläufe geben.
Deswegen ist Ihre Bemerkung, Frau Bundeskanzlerin, angemessen und auch richtig, wenn Sie sagen, es dürfe keinen Wettlauf hinsichtlich der neuen schuldenfinanzierten Milliardenpakete in Europa geben. Darum geht es aber nicht. Es geht nicht darum, dass wir in Deutschland noch ein Konjunkturpaket auflegen, das wir wiederum durch höhere Steuern oder höhere Schulden finanzieren.
Sondern es geht darum, dass in Deutschland endlich strukturelle Veränderungen der Rahmenbedingungen vorgenommen werden müssen. Wir brauchen kein Konjunkturpaket, das wieder durch Schulden finanziert wird. Was wir jetzt brauchen, ist ein Strukturpaket, mit dem die Rahmenbedingungen so verändert werden, dass in Deutschland investiert wird, dass der Mittelstand eine Chance hat, Arbeitsplätze zu schaffen, und dass die Menschen durch niedrigere Steuern und Abgaben wieder Lust auf Leistung haben können. Das ist die Aufgabe, die jetzt angegangen werden muss.
(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, Sie sprechen von der europäischen Bankenaufsicht. Sie sagen zu Recht, dass es dafür in Europa Regeln geben muss. Welchen Sinn macht es aber an die Bundesregierung gefragt , dass Sie auf europäischer Ebene eine Bankenaufsicht fordern, zu deren effektiver Gestaltung Sie im Inland aber nicht fähig sind, weil Sie sich uneinig sind? In jeder Debatte hören wir von den Kolleginnen und Kollegen der Union übrigens mit unserer Zustimmung : Die Bankenaufsicht muss neu organisiert werden. Die Zersplitterung war ungesund. Das ist eine der Ursachen dafür, warum vieles passieren konnte.
Es geschieht jedoch nichts. Sie gehen an die Zersplitterung der deutschen Bankenaufsicht nicht heran. Wer die deutsche Bankenaufsicht nicht effektiv gestalten kann, dem wird man dies auch nicht auf europäischer Ebene zutrauen, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der FDP)

Was wir jetzt brauchen, sind strukturelle Veränderungen. Dazu zählen aus unserer Sicht neben dem großen Thema eines gerechteren Steuersystems vor allen Dingen auch der Abbau der Bürokratie und die Beseitigung von Investitionshemmnissen. Das wäre ein Strukturpaket, das beschlossen werden müsste und das den Staat keinen einzigen Euro kostet.
Dieses Strukturpaket könnte beispielsweise darauf abzielen, die ideologische Energiepolitik zu beenden, auf einen vernünftigen Energiemix zu setzen und dafür zu sorgen, dass auch in Deutschland moderne, saubere und effiziente Kraftwerke gebaut werden können, die alte und schmutzige Kraftwerke ablösen. Wenn Sie das täten, wenn Sie endlich in der Energiepolitik die ideologischen Bremsen Ihrer Politik lösen würden, dann könnten etwa 40 Milliarden Euro private Mittel in den Wirtschaftskreislauf fließen.
Sie sagen, die SPD verhindere dies. Das ist aber zu wenig. Sie führen unser Land. Jedenfalls ist dies das, was in dem Wort „regieren“ der Wortwurzel nach enthalten ist.

Sie können sich nicht immer hinter der Aussage verstecken, dass Sie sich nicht durchsetzen können. Es ist in diesen Zeiten der Krise Ihre Aufgabe, unser Land strukturell so zu verändern, dass wir eine echte Chance haben, aus der Krise herauszukommen.
90 Prozent der Investitionen in Deutschland werden von Privaten getätigt. Sie können noch 1 000 Konjunkturpakete des Staates beschließen, wenn Sie die Investitionsbedingungen für die Privaten nicht verbessern,
(Joachim Poß (SPD): Tun wir doch!)

indem Sie die Bürokratie und die Ideologie in diesem Land endlich abschaffen.
(Beifall bei der FDP – Joachim Poß (SPD): Sie haben von nichts Ahnung und davon reichlich!)

Wir wissen, dass 20 Milliarden Euro darauf warten, in Infrastruktur im Bereich der Energie investiert zu werden. Wir wissen beispielsweise auch, dass in die Flughafeninfrastruktur ebenfalls 20 Milliarden Euro investiert werden könnten. Die Meinung, Konjunkturpakete müssten für den Staat teuer sein, ist falsch. Jetzt müssten Strukturpakete geschnürt werden. Die Chance der Krise kann man nutzen, indem man jetzt die strukturellen Veränderungen durchsetzt, die in Deutschland ohnehin dringend angegangen werden müssen; das ist überfällig.
(Beifall bei der FDP)

Da wir mittlerweile nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa über die Steuerpolitik reden, ist es für unsere Bürgerinnen und Bürger schon von einem gewissen Interesse, festzustellen, dass Sie die Harmonisierung des europäischen Steuerrechts in Deutschland ausschließlich so verstehen, dass wir in Richtung der Steuersätze der Länder harmonisieren, in denen sie höher als in Deutschland sind. Das ist keine Harmonisierung.

In der letzten Woche wurde auch durch unseren Finanzminister beschlossen, dass die europäischen Länder ermäßigte Mehrwertsteuersätze einführen können. 22 europäische Staaten machen davon Gebrauch. Anschließend haben Sie in Deutschland erklärt: Wir in Deutschland tun das aber nicht, weil wir das nicht wollen. Damit vorenthalten Sie dem deutschen Mittelstand faire Chancen. Den anderen geben Sie die Möglichkeit, Steuern zu senken, unseren Bürgern und unserem Mittelstand verweigern Sie das. Das ist unfair, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der FDP)

Nicht alle anderen sind die Geisterfahrer in Europa, sondern wir sind es. Wir Deutschen sind in der Steuerpolitik die Geisterfahrer in Europa;
(Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie sind es!)

denn 22 europäische Staaten in der Europäischen Union, also die überwiegende Mehrheit, gehen diesen Weg, den Sie den deutschen Bürgerinnen und Bürgern verweigern. Das halten wir für falsch.
Wer das Thema mit dem einfachen Wort „Steueroase“ angeht, der macht es sich natürlich zu einfach. Natürlich müssen wir die Steuerkriminalität und die illegale Steuerflucht bekämpfen. Natürlich ist es richtig, dass wir auch in Europa und in der Welt die Regeln der OECD anwenden wollen.
(Peer Steinbrück, Bundesminister: Aha!)

Herr Steinbrück, weil Sie gerade „Aha“ gerufen haben: Die Frage ist, ob man das mit der Peitsche tut bzw. indem man der Schweiz mit der Kavallerie gegen Indianer droht. Sie können ja nicht einmal mit der Schweiz Frieden halten.
(Dr. h. c. Gerd Andres (SPD): Steueroasen abschaffen, Herr Westerwelle!)

Herr Steinbrück, Herr Finanzminister, ich muss Ihnen wirklich sagen: Diese Art und Weise des Umgangs mit unseren Nachbarländern ist eine schlichte undiplomatische Unverschämtheit. Das wird auch hier zu einem Thema gemacht werden müssen. Das ist eine schlichte Unverschämtheit.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Da hat er leider recht! Dr. h. c. Gerd Andres (SPD): So ein Quatsch! – Weitere Zurufe von der SPD)

Es ist sehr interessant, dass Sie das gut finden.
(Dr. h. c. Gerd Andres (SPD): Steueroasen-Guido!)

Jetzt wurde gerade ein schöner Zwischenruf zur Steueroase gemacht. Ich will Ihnen das einmal wie folgt erklären, Herr Kollege:
(Lachen bei der SPD)

Für den normalen Bürger ist in der Regel weniger die Oase, sondern vielmehr die Wüste drum herum das Problem.
(Beifall bei der FDP – Zurufe von der SPD)

Ich sage Ihnen: Dieselbe Energie, die Sie dafür aufwenden, Steueroasen auszutrocknen, sollten Sie dafür aufwenden, dass die deutsche Steuerwüste durch niedrigere Steuern endlich wieder fruchtbarer wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, das ist das Mittel, das man anwenden sollte.
(Beifall bei der FDP – Kurt Bodewig (SPD): Steuerhinterzeihung als Steuerförderung!)Turnusende

Hinterher höre ich bestimmt wieder von Ihnen: „Schade, dass wir bei euch nicht klatschen durften!“
(Heiterkeit bei der FDP)

Der entscheidende Punkt ist aber, Frau Bundeskanzlerin: Statt dass Sie als Regierungschefin Deutschlands ein Wort der Diplomatie an unsere Nachbarn richten, sagen Sie ganz im Bild von Herrn Steinbrück bleibend , man müsse Ross und Reiter nennen, mit der Peitsche drohen und die Kavallerie gegen die Indianer ins Feld schicken.
(Widerspruch bei der SPD)

Ich glaube, diese Art und Weise ist schlichtweg unverantwortlich. Sie haben Ihren Kompass in der Regierung verloren. Sie sind zu einem wirklich kraftvollen und machtvollen Führen in Europa nicht mehr fähig. Diese Debatte zeigt, dass Sie auch inhaltlich nicht mehr einig sind. Mittlerweile ist die Koalitionszerrüttung so weit fortgeschritten, dass deutsche Interessen auch auf internationaler Ebene beschädigt werden.
(Kurt Bodewig (SPD): Steuerhinterziehung ist kein Teil deutscher Interessen!)

Das ist schlecht für unser Land.
Ich danke sehr für Ihre Aufmerksamkeit.
(Lebhafter Beifall bei der FDP – Dr. h. c. Gerd Andres (SPD): Das war der Wüsten-Guido!)

URL: http://www.liberale.de

Quelle (Pressrelations)

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