„International vernetzt – weltweit gefragt. Universitäten im Zeitalter der Globalisierung“ lautete der Titel einer weiteren Veranstaltung in der Reihe „Wertedenken-Denkenswertes“ über die Zukunft der Universitäten.
Hauptrednerin vor 170 Gästen im Festsaal des Schlosses Herrenhausen war Prof. Dr. Gesine Schwan, die Präsidentin der Humboldt-Viadrina School of Governance in Berlin. Sie resümierte zunächst die Entwicklung des Begriffes „Internationalisierung“ im Hochschulbereich. Noch in den 1980er Jahren habe der Gedanke des Kulturaustausches im Vordergrund gestanden: Studierende und Forschende sollten eine Zeit im Ausland verbringen, um in einer fremden Sprache zu denken und einen Perspektivwechsel beim Blick auf das eigene Forschungsgebiet vorzunehmen.
Der Bologna-Prozess, der aus Sicht von Schwan zunächst noch der Internationalisierung im Sinne der Überwindung nationaler Grenzen und nationalem Denkens verpflichtet war, sei dann in den 1990er Jahren unter den Einfluss der Globalisierung geraten. Nun stand nicht mehr die Erweiterung des persönlichen Horizonts und Arbeitsfelds durch einen Auslandsaufenthalt im Mittelpunkt. Stattdessen zog der ökonomisch motivierte internationale Wettbewerbsgedanke ein: Wissenschaft sollte „rentabel“ werden, Arbeitsplätze und Wohlstand produzieren; die Qualität von Hochschulen wurde in Rankings gemessen und bewertet.
Diesen Konkurrenzdruck, das Unterscheiden in gute und schlechte Leistung, spiegele die in ihrer finalen Fassung verabschiedete Bologna-Reform wider. Der Wettbewerbsgedanke („immer schneller“) sei auf das ganze Bildungssystem in Deutschland übertragen worden. Hochschulen konkurrierten in der Exzellenzinitiative und um gute Ranking-Plätze – und die Studierenden würden sich abmühen, in der vorgegebenen Frist jenen Notenspiegel zu erreichen, der Voraussetzung für das Masterstudium sei. Für das gedankliche Umherschweifen, das Ausprobieren von Fächern, sei im heutigen Studentenalltag keine Zeit mehr. Der Austausch mit dem Ausland sei auf den Terminus der „internationalen Vernetzung“ reduziert worden, ein Modewort, so Schwan, ohne dessen Erwähnung heute kein Drittmittelantrag mehr eine Chance hätte.
Gesine Schwan schloss ihren Vortrag mit konkreten Forderungen: Die Universitäten müssten den Studierenden wieder „mehr Luft geben“ für neue (Selbst-)Erfahrungen während des Studiums („Gucken Sie sich die Geförderten der Studienstiftung des deutschen Volkes an, da ist kaum jemand schon nach acht Semestern fertig gewesen.“); weiterhin forderte sie „eine neue Lernkultur“, in der auch Grundschüler ihre individuellen Potenziale erst mal entfalten dürfen, bevor sie in das Korsett der auf Effizienz getrimmten Lehrpläne gezwängt würden. Und Frau Schwan warb dafür, Fremdsprachen zu lernen. „Nur so fängt man an, auch international zu denken.“
Kommentiert wurde ihr Vortrag anschließend zunächst von Dr. Birgit Barden, Leiterin des Hochschulbüros für Internationales an der Leibniz Universität in Hannover. Sie nahm die Perspektive der in Hannover immatrikulierten Studierenden aus dem Ausland ein. Bundesweit betrage ihr Anteil sechs Prozent. Mobilitätsbewegungen würden sich in Zukunft ändern. Bislang stellten Chinesen die zahlenmäßig größte Gruppe der Studierenden aus dem Ausland. Doch nachdem China große Investitionen in die Modernisierung des eigenen Bildungssystems stecke, sei mit einem Rückgang der Zahlen zu rechnen. Beklagenswert fand sie, dass das Auswärtige Amt die Mittel des DAAD für Stipendien um 20 Prozent kürzen wolle. Andererseits sei als Ziel ausgegeben worden, dass jeder zweite deutsche Studierende auch eine Zeit im Ausland verbringen soll. Darin sah sie eine widersprüchliche Haltung des Außenministeriums. Dr. Barden schloss ihren Kommentar mit einem Zitat von Konfuzius: „Es ist besser zehntausend Meilen zu gehen als zehntausend Bücher zu lesen.“
Zweite Kommentatorin des Abends war Dr. Katrin Kinzelbach, Schumpeter-Fellow der VolkswagenStiftung und Leiterin des Human Rights Program am Global Public Policy Institute in Berlin. Dr. Kinzelbach konnte selbst schon häufig die Erfahrung eines Familienumzugs ins Ausland mitmachen; „es ist jedes Mal ein Kraftakt“. Neugierde und Risikobereitschaft treibe sie immer wieder an, die Lust darauf, neue Erfahrungen in vielen Bereichen zu machen. Doch habe sie in Studien gelesen, dass die meisten Menschen den Sprung ins Ausland aus anderen Motiven schafften: weil sie in der Heimat nichts mehr zu verlieren hätten.
Wie könne man die freiwillige Risikobereitschaft in Deutschland stärken, so frage sie sich. Ihre Antwort: Es bedarf einer Änderung der Fehlerkultur; auch das Scheitern müsse toleriert werden, „auch ein gescheitertes Experiment kann wertvolle Erkenntnis bringen“. Wer ins Risiko geht, muss Rückschläge verkraften.
Neben persönlichen Auslandsaufenthalten habe das Internet entscheidend zur Internationalisierung von Wissenschaft beigetragen, so Dr. Kinzelbach. Entsprechend sieht sie die Hauptaufgabe der Wissenschaftler in Deutschland heute darin, ihr Wissen zu mehren und über das Internet international verfügbar zu machen
Zur Reihe „Wertedenken-Denkenswertes“:
Initiatorin der Diskursreihe über die Zukunft der Universität ist Thisbe K. Lindhorst, Professorin für Chemie in Kiel. Ihr programmatisches Anliegen ist es, die klassischen Ideale universitären Schaffens im Licht der heutigen Zeit neu zu interpretieren. An jedem Abenden diskutiert sie mit profilierten Gästen wechselnde Schwerpunkte. Die VolkswagenStiftung fördert das Projekt.
Website: www.wertedenken-denkenswertes
Bildunterschrift: v.l.n.r.: Prof. Dr. Thisbe K. Lindhorst, Dr. Birgit Barden, Moderatorin Ines Arland, Dr. Katrin Kinzelbach und Prof. Dr. Gesine Schwan (Foto: Fernando Gutiérrez Juárez)
Quelle pressrelations.de