Einer Mitteilung in Welt-online v. 14.01.09 zufolge hat der Vorsitzende des Evangelischen Forums Westfalen, Manfred Keller, die Absetzung der Debatte über den Krieg in Gaza in der TV-Talksendung „Anne Will“ kritisiert. Bekanntermaßen hat sich das Redaktionsteam um Anne Will für das Thema „Tabu – Freitod: wer hat das recht, Leben zu beenden“ entschieden.
Die Kritik an dem Themenwechsel erscheint mir persönlich nicht angebracht, wurde doch mit der angestrebten Debatte über den Freitod und damit verbunden die Diskussion um die (aktive) Sterbehilfe ein sehr aktuelles und brisantes Thema aufgegriffen, für das die Öffentlichkeit angesichts der demnächst im Bundestag anstehenden Lesung über ein Patientenverfügungsgesetz zu sensibilisieren ist. Zuzugeben ist, dass auch der Konflikt im Nahen Osten dringend einer nachhaltigen Thematisierung bedarf, so dass Keller, Vorsitzender des Evangelischen Forums Westfalen, völlig zu Recht darauf hingewiesen hat, dass „jeder Tote in diesem Krieg, jeder Verwundete und jeder traumatisierte Mensch … einer zuviel (ist), egal auf welcher Seite“.
Das Thema „Freitod und Sterbehilfe“ ist angesichts der anstehenden Entscheidungsprozesse in unserem säkularen Verfassungsstaat allerdings insofern von überragender Bedeutung, weil hiermit grundlegende Freiheiten, u.a. diejenigen aus dem Selbstbestimmungsrecht folgend, geregelt werden sollen, die für eine Vielzahl von Bürgern von geradezu existentieller Bedeutung sind. Das über Jahre bestehende Regelungsdefizit mit Blick auf das selbstbestimmte Sterben eines jeden Einzelnen soll dem Bekunden unserer politischen Verantwortlichen nach nun endlich angegangen werden und da macht es durchaus Sinn, dass Thema insgesamt in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken und zwar ungeachtet der Tatsache, ob die mediale Aufbereitung des gewichtigen Themas in der Sendung von Anne Will gelungen ist. Das Thema genießt insofern höchste Priorität, weil die bisherige Diskussion deutlich gezeigt hat, dass nicht wenige Politiker – gleichsam unterstützt durch namhafte Theologen, Ethiker und leider auch Hobbyphilosophen – bemüht sind, trotz der vielbeschworenen Säkularität ihren Glauben an sittlich höhere und damit transzendente (kirchliche) Werte zu bewahren und so sich davor scheuen, ein nachhaltiges Bekenntnis zum Selbstbestimmungsrecht der Bürgerinnen und Bürger abzugeben. Würde der missionarische Weg konsequent von den Wertkonservativen zu Ende gegangen, so hätte dies zur Folge, dass das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen mit Blick auf seine ihm zustehende Regie über und für seinen eigenen Tod für Jahrzehnte versenkt werden würde und dies erscheint mir nun in der Gänze inakzeptabel zu sein: Grundrechte würde so im Zweifel mehrjährig versenkt werden!
Überdies darf – ohne hier schulmeisterisch auftreten zu wollen – durchaus darauf hingewiesen werden, dass die Kommunikationsfreiheiten des Grundgesetzes zugleich auch die „Programmverantwortlichkeit“ und damit das angesetzte „Programm“ als solches schützt und wir alle eigentlich gehalten sind, auch eine kurzfristige „Programmänderung“ zu akzeptieren, zumal es dem Redaktionsteam um Anne Will unbenommen bleibt, dass Thema „Nahost“ zeitnah wieder aufzunehmen und anzusetzen. Die Diskussion über den aktuellen Konflikt im Nahen Osten ist ohne Frage wichtig – so wie die aktuelle Debatte um die Sterbehilfe. Beide Themen geniessen gleichermaßen Priorität und gehören aufgearbeitet, so dass es mir höchst problematisch erscheint, hier gleichsam eine „Rangfolge“ festzulegen, nach dem die Themen im Zweifel behandelt werden sollen; dies zu entscheiden, lag bei den Programmverantwortlichen.
Lutz Barth
Lutz Barth
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Lutz Barth, Jahrgang 1959, Ass. jur. Streitbarer Jurist in einer Zeit der allgemeinen Wertedebatte, der nicht immer die ganz herrschende Lehre vertritt. Das Motto: Nur ein Blick in das Gesetz und nicht in die transzendente Glaskugel erleichtert die Rechtsfindung.