Sex brennt – Magnus Hirschfelds Institut für Sexualwissenschaft und die Bücherverbrennung

Mai 8, 2008

Am 10. Mai 2008 jährt sich die Bücherverbrennung durch die Nazis zum 75. Mal – ein folgenschweres Ereignis für das geistige und kulturelle Leben Europas. Anlässlich des Jahrestages wird die Ausstellung „Sex brennt“ am Beispiel des Sexualwissenschaftlers Magnus Hirschfeld die inszenierte Auslöschung humanistisch-liberaler Denktraditionen einschließlich ihrer politischen und kulturellen Repräsentanten darstellen. Die Rolle Hirschfelds und die der Zerstörung seines Instituts als Auftakt zur Bücherverbrennung wurde in diesem Kontext bislang unangemessen wenig beachtet. Hier setzt die Ausstellung, die vom 7. Mai bis zum 14. September 2008 im Berliner Medizinhistorischen Museum der Charité zu sehen sein wird, mit künstlerischen Umsetzungen und didaktischen Darstellungen neue Akzente.

Magnus Hirschfeld (1868 –1935) ist eine Schlüsselfigur der gesellschaftlichen
Modernisierung im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. Sein 1919 in Berlin-Tiergarten gegründetes, weltweit einzigartiges Institut für Sexualwissenschaft war eine Institution von großer Anziehungskraft und bildete das sexualpolitische Zentrum der Weimarer Republik. Das Hirschfeld-Institut war eine der ersten Einrichtungen, die von den Nazis als sittenwidrig gebrandmarkt, geplündert und geschlossen wurden.

Die Institutsplünderung am 6. Mai 1933 durch Studenten der Hochschule für Leibesübungen und der Tierärztlichen Hochschule ist der medienwirksam inszenierte Auftakt zur Bücherverbrennung durch die Deutsche Studentenschaft. „Bei Magnus Hirschfeld wird ausgeräumt“, titelte die damalige Tagespresse. Während des Aufmarschs zur Bücherverbrennung auf dem Berliner Opernplatz am 10. Mai 1933 schwankte „der Kopf einer zerschlagenen Büste Magnus Hirschfelds […] auf einer langen Stange […] hoch über der stummen Menschenmenge“. Das schrieb Erich Kästner, dessen Bücher ebenfalls verbrannt wurden, als Augenzeuge. Die Worte illustrieren Hirschfelds Indienstnahme als ideologische Hassfigur. Seine Schriften wurden zusammen mit denen Sigmund Freuds unter dem Feuerspruch „gegen seelenzerfasernde Überschätzung des Trieblebens“ in die Flammen geworfen.

Die Ausstellung „Sex brennt – Magnus Hirschfelds Institut für Sexualwissenschaft und die Bücherverbrennung“ verfolgt ein Konzept, das künstlerische und didaktische Darstellungen verknüpft. In fünf, jeweils eigenständigen künstlerischen Arbeiten werden Positionen formuliert, die sich in spezifischer Weise mit Aspekten von Hirschfelds Werk, seiner Person und der Bücherverbrennung aus heutiger Perspektive befassen. Für die Arbeiten konnten sieben international renommierte KünstlerInnen gewonnen werden: Arnold Dreyblatt (New York), Pauline Boudry und Renate Lorenz (Lausanne, Berlin), Henrik Olesen (Kopenhagen), Ulrike Ottinger (Berlin) sowie Eran Schaerf und Eva Meyer (Tel Aviv, Berlin).

Auf der informativ-didaktischen Ausstellungsebene wird mit Bildmaterial, Objekten und Büchern aus dem Institut und aus Hirschfelds Besitz ein thematischer Rahmen gespannt, der die inhalte und Konfliktfelder sexualwissenschaftlicher und -politischer Tätigkeit Magnus Hirschfelds absteckt. Hierbei handelt es sich um genau jene Themen, aus denen die Nazis im Vorfeld der Bücherverbrennung das Feindbild ‚Magnus Hirschfeld’ konstruierten. Weiterhin wird die Installation einer historischen Arbeit zu seinem Gästebuch aus der Emigration von Marita Keilson-Lauritz gezeigt, die Hirschfelds Rolle als Intellektueller und Wissenschaftler im schweizerischen, später französischen Exil thematisiert. Die sachbezogenen wie die künstlerischen Darstellungsebenen gehen der Frage nach, warum gerade Hirschfeld und sein Institut eine so herausragende Zielscheibe für die Aktion „wider den undeutschen Geist“ abgaben. Zudem machen sie die durch Plünderung, Zerschlagung und Schließung des Instituts für Sexualwissenschaft und die Verbrennung der Bücher entstandenen Verluste deutlich.

Die Ausstellungsgestaltung von Eran Schaerf und Christian Gänshirt kann als
der Versuch eines Gedächtnismodells gelesen werden, das auf die mentale Aktivität der Besucher zählt. Davon versprechen sich die Designer eine Ausstellung, die sich von der Gedenkausstellungskultur Nachkriegsdeutschlands dadurch absetzt, dass sie nicht bloß in Erinnerung ruft, sondern den Umgang mit Bild und Bildgedächtnis thematisiert. Eine einzige, hundert Meter lange Wand aus Karton bildet die Architektur der Ausstellung. Sie dient als Hintergrund für die Exponate, enthält Nischen
und Vitrinen, und bildet fünf Räume für die künstlerischen Beiträge. Die räumliche Anordnung operiert mit der Vorstellung einer unterbrochenen Kontinuität. Die Ausstellung kann linear umlaufen werden oder unterbrochen für die von den Künstlern bespielten Räume.

Ausstellungsinformationen:

Sex brennt
Magnus Hirschfelds Institut für Sexualwissenschaft und die Bücherverbrennung

Kurator der Ausstellung: Dr. Rainer Herrn (Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft)
Teilnehmende KünstlerInnen: Arnold Dreyblatt (New York), Pauline Boudry und Renate Lorenz (Lausanne, Berlin), Henrik Olesen (Kopenhagen)
Ulrike Ottinger (Berlin), Eran Schaerf und Eva Meyer (Tel Aviv, Berlin)
Ausstellungsdesign: Eran Schaerf, Christian Gänshirt, Manuel Raeder (Grafik), Ofri Lapid, Gunnar Voss (Assistenz)

Ausstellungsort: Berliner Medizinhistorisches Museum der Charité, Charitéplatz 1, 10117 Berlin
Laufzeit: 07. Mai bis 14. September 2008

Kontakt Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft: Dr. Rainer Herrn, T. 030/441 39 73, mhg@magnus.in-berlin.de

Pressekontakt: Achim Klapp Medienberatung, T. O30/257 970 16, info@achimklapp.de, www.bmm.charite.de

Das Berliner Medizinhistorische Museum ist eine Einrichtung der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Hervorgegangen aus dem Pathologischen Museum Rudolf Virchows (Geschichte des Museums), befindet es sich im ehemaligen Museumshaus des Instituts für Pathologie auf dem traditionsreichen Gelände der Charité (Campus Mitte). Es zeigt in seiner Dauerausstellung derzeit vor allem eine etwa 750 Objekte umfassende Sammlung pathologisch-anatomischer Feucht- und Trockenpräparate sowie Modelle und Abbildungen. Mit seinen Wechselausstellungen thematisiert das Museum immer wieder neue Aspekte aus Medizin und Medizingeschichte

Quelle (openPR)

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